Auch die Literatur ist dem Wandel der Zeit unterworfen. Der deutsch-französische Fernsehsender Arte stellte dies während der Frankfurter Buchmesse 2018 unter Beweis und organisierte am 11. Oktober eine Konferenz rund um das Thema „Literatur und virtuelle Realität“.
Die Gesprächspartner
Der Medienwissenschaftler Markus Wintersberger stellte sein Projekt „Wearable Theatre“ vor, welches es sich zum Ziel gesetzt hat neue Erzählformen zu entdecken, die mit der Entwicklung der virtuellen Realität (VR) einhergehen. Laut dem Journalisten und Historiker Jean Segura können diese Formen folgendermaßen definiert werden: „[D]ie Gesamtheit der Techniken und Systeme, die dem Menschen das Gefühl vermitteln in künstliche Universen einzudringen, die durch das Internet erschaffen wurden“¹.
Mika Johnson, Regisseur, arbeitet seinerseits für das Goethe-Institut in Prag an Franz Kafkas Die Verwandlung. In dieser Novelle lebt der Protagonist Gregor Samsa isoliert in seinem Zimmer, nachdem er sich des Nachts in ein Insekt verwandelt hat. Es ist nun, dank der virtuellen Realität, möglich in den Panzer des Protagonisten zu schlüpfen, um die Erfahrungen in der Dreidimensionalität nachzuempfinden. Dieses Erlebnis wurde den Besuchern der diesjährigen Frankfurter Buchmesse nicht vorenthalten, denn man konnte die VR-Brillen mit integrierten Kopfhörern gleich vor Ort ausprobieren.
Das unten angefügte Video gibt einen Vorgeschmack auf die Möglichkeiten, die diese neue Technologie eröffnet.
Mehrwert für die Literatur
Beide Redner zielen darauf ab, die virtuelle Realität für die Aufbereitung von mitreißenden Atmosphären zu nutzen, die durch literarische Werke erzeugt werden. Der Nutzer wird eine digitale Welt in 3D erkunden können und somit eine völlig andere und neue Dimension des Textes erfahren. Zu diesem Zeitpunkt beschränken sich Markus Wintersberger und sein Team auf einige Passagen aus den Romanen Die Dämonen von Fiodor Dostoievski, Homo Faber von Max Frisch und Der Fall von Albert Camus, aus denen sie kurze Videosequenzen erarbeiten. Wie Mark Johnson betont, kann alles was sich in der Literatur auf den Raumbegriff bezieht, durch die VR-Brille in die virtuelle Realität umgesetzt werden. Hierfür müsse man jedoch diese Technologie und die dazugehörige Grammatik verstehen und sich aneignen können. Aus diesem Grunde spielen die beiden Redner, deren Profile nicht unterschiedlicher sein könnten, eine entscheidende Rolle: angesichts der neuen Sprache ist der künstlerische Schaffensprozess ebenso wichtig wie die wissenschaftliche Forschung.
Insofern könnte die virtuelle Realität die literarische Welt in der Tat bereichern, indem der Erzählmodus umgestürzt und das Auftauchen neuer Formen künstlerischen Experimentierens ermöglicht wird.
Welche Entwicklungen der Virtual Reality sind zu erwarten?

Die virtuelle Realität sei vor allem als Innovation interessant, so Mika Johnson. Wenngleich sie bereits für Entwickler von Videospielen und dem Sektor der Unterhaltungsindustrie, die sich mit 360-Grad-Videos beschäftigt von großem Interesse ist, ist es nun an der Zeit in einem nächsten Schritt den Durchbruch im kulturellen Bereich zu wagen. Die VR könnte ein neues Verständnis der Menschheit und ihrer Geschichte ermöglichen, es müssen sich jedoch Finanzierungsmöglichkeiten finden lassen, wie etwa durch kulturelle Institutionen, die bereit wären diese Projekte zu fördern. Im Gegensatz zur herkömmlichen Literatur, braucht es etwas mehr als lediglich einen Stift und Papier, um dies umzusetzen: hier ist die Expertise von Programmierern und Ingenieuren und der Einsatz von weiteren Materialien gefragt, um die Zugänglichkeit für ein breites Publikum zu ermöglichen.
Obwohl diese neue Technologie bei dem Ein oder Anderen Bedenken hervorrufen könnte, erinnert Mika Johnson daran, dass jedes Gerät je nach Gebrauch Gutes oder Schlechtes bewirken könnte. Die könne uns beispielsweise dabei behilflich sein unsere Vorstellungskraft zu erweitern oder unsere Ideen auf eine noch nie dagewesene Weise zu vermitteln.
Sei es nun als Co-Autor, als Zuschauer oder als Akteur, welche Rolle der Leser in Zukunft einnehmen wird, ist noch unklar. Wir können uns auf jeden Fall auf eine Erneuerung der Erzählformen freuen, die auch sicherlich neue Dimensionen innerhalb der Verlagswelt eröffnen wird.
Deutsche Übersetzung des französischen Artikels meiner Kommilitonin Aurélie Connan.
¹D’ARFEUILLE, Pierre-Ivan. Salon de la réalité virtuelle : les 5 temps forts. Le Figaro [en ligne]. 8 février 2018 [Stand: 12. Oktober 2018]. http://www.lefigaro.fr/sortir-paris/2018/02/08/30004-20180208ARTFIG00255-salon-de-la-realite-virtuelle-2018-les-5-temps-forts.php
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